Nachwort

Das letzte Kapitel

Wir alle wis­sen es: Unser Leben auf die­ser Welt ist nicht unend­lich. Und trotz­dem betrach­ten wir in unse­rem Kul­tur­kreis das Kapi­tel „Ster­ben und Tod“ meist als etwas Bedroh­li­ches und Nega­ti­ves. War­um eigent­lich? Jeder wird dafür sei­ne Grün­de und Erklä­run­gen haben. Ich möch­te Ihnen, lie­be Lese­rin­nen und Leser, Posi­ti­ves auf­zei­gen.

Ein Leben ist wie ein Buch: Jeder Tag ist eine Sei­te davon, die Geburt ist das Vor­wort, jeder Lebens­ab­schnitt ein Kapi­tel – und irgend­wann hat man das Buch bis zum Ende „gele­sen“. Da wir aber nicht wis­sen, wie vie­le Sei­ten das Buch umfasst, sind wir meist über­rascht, wenn die Über­schrift „Das letz­te Kapi­tel“ heißt und hof­fen, dass es ein Druck­feh­ler ist. Wenn jedoch bei­spiels­wei­se zwei Men­schen ihre Bücher über vie­le Jah­re und Jahr­zehn­te gemein­sam lesen und tief ver­bun­den sind, spü­ren sie, wann das letz­te Kapi­tel des „Lebens­bu­ches“ des Partners/der Part­ne­rin beginnt. Als ob es eine Ein­ge­bung wäre, berei­ten sich die­se bei­den Men­schen auf das Kapi­tel­en­de vor. Die Bezie­hung kann inten­si­ver wer­den als je zuvor und wird sich kaum in Wor­te fas­sen las­sen. Fest­ma­chen kön­nen an einem bestimm­ten Datum oder an einer Situa­ti­on wird man die­se „Ein­ge­bung“ meist erst im Rück­blick.

Die­ses letz­te Kapi­tel des „Lebens­bu­ches“ eines gelieb­ten Men­schen mit­zu­er­le­ben, ihn beglei­ten zu dür­fen, kann eine Berei­che­rung des eige­nen Lebens sein. In die­ser Zeit kann man vie­les über sich und den ande­ren ler­nen und erfah­ren, was einem im All­tag ver­schlos­sen blie­be. Sicher, gera­de die letz­ten Sei­ten die­ses Kapi­tels kos­ten oft beson­ders viel Kraft und kön­nen sehr schmerz­haft und leid­voll sein. Aber wir spü­ren die­ses Leid doch nur des­halb, weil wir in den Kapi­teln zuvor viel Freu­de, Lebens­lust, Glück und Lie­be emp­fin­den konn­ten. Das inten­si­ve „Mit­le­sen“ in dem Buch eines ande­ren ist an sich schon etwas Beson­de­res, gera­de in der heu­ti­gen Zeit, in der vie­le Men­schen oft nur noch ober­fläch­lich von „mei­ner Bezie­hung“ spre­chen oder gar ganz ohne einen lie­be­vol­len Men­schen leben. Wenn man dann noch gemein­sam und bewusst das besag­te letz­te Kapi­tel „lesen“ darf, ist die­ses ein wun­der­ba­res Geschenk, das in die­ser Form lei­der nicht jeder erhält (bei­spiels­wei­se bei Unfall­tod).

Ist das „Lebens­buch“ des gelieb­ten Men­schen dann geschlos­sen, bleibt nur noch das Nach­wort. Es sind die vie­len Erin­ne­run­gen an das gemein­sam Erleb­te, die Erfah­run­gen und Gefüh­le. Die­ses Nach­wort wird zugleich vie­le, vie­le Sei­ten des eige­nen „Lebens­bu­ches“ fül­len und die Kraft zum Wei­ter­blät­tern geben.

Und wer weiß, viel­leicht gibt es ja irgend­wann eine Neu­auf­la­ge des „Lebens­bu­ches“ und man begeg­net beim Lesen wie­der seinem/seiner gelieb­ten Partner/in …