Brief an dich (1)

Lie­ber Schatz, unse­re Zeit der Lie­bes­brie­fe ist ja lan­ge vor­bei.
Trotz­dem möch­te dir heu­te schrei­ben, auch wenn ich weiß, dass du die­se Zei­len nie lesen wirst (oder viel­leicht doch?)

Jetzt bist du seit 61 Tagen tot. Es ist seit­dem viel pas­siert.
Ich will mich aber in die­sem Brief nur auf das beschrän­ken, was uns zwei angeht:

Es gibt Tage, da kann ich es eigent­lich über­haupt nicht fas­sen, dass du nicht mehr hier bist. Es kommt mir vor, als wärest du in Urlaub, also nur vor­über­ge­hend weg von Zuhau­se.

Dann wie­der gibt es Tage, da scheint es mir bewusst zu sein, dass ich nun allei­ne bin. Ich bin noch immer so hin und her geris­sen in mei­nen Gefüh­len…

Wenn ich von der Arbeit kom­me, den­ke ich: Gleich muss die Tür auf­ge­hen und mein Schatz erwar­tet mich mit aus­ge­streck­ten Armen. Doch dann bin ich total trau­rig, dass nie­mand die Tür auf­macht, kei­ner fragt: „Hal­lo, mein Lieb­ling, wie war dein Tag?“ Ich kom­me in das aus­ge­kühl­te Haus, alles ist so still… ich füh­le mich allein gelas­sen!

Wenn ich – so wie jetzt – am Lap­top sit­ze und schrei­be, habe ich manch­mal das Gefühl, dass ein Hauch mich umgibt oder hin­ter mir vor­bei­zieht. Bist du das viel­leicht, der mir über die Schul­ter sieht?
Viel­leicht war es auch nur ein Luft­zug…

Wenn ich zu dei­nem Grab gehe, glau­be ich manch­mal dei­ne Stim­me zu hören, die mir zuruft. Sicher­lich ist es aber nur ein Vögel­chen, das zwit­schert oder irgend ein ande­res Getier, das lau­te von sich gibt …

Wenn ich nachts zu Bett gegan­gen bin und das Licht aus­ge­macht habe, höre ich manch­mal Schrit­te auf der Trep­pe. Dann mache ich das Licht wie­der an, lau­sche ganz krampf­haft – aber du kommst nicht…

Wenn ich mor­gens aus mei­nen Träu­men auf­wa­che, habe ich manch­mal das Gefühl, dass mein Kopf von dei­nen Hän­den gehal­ten wird – aber ist es nicht nur das Kopf­kis­sen, auf dem ich lie­ge…

Bil­de ich mir das alles nur ein? Ist das mein Wunsch­den­ken?
Oder alles nur Aus­druck mei­ner Sehn­sucht nach dir?

Las­se es mich ver­ste­hen! Und gib mir bit­te ein Zei­chen, wenn du es bist. Ich wäre ja auch schon zufrie­den, wenn du mir nur ein­mal sagen wür­dest: „Eva, du bil­dest dir alles nur ein. Ich bin tot. Begrei­fe es end­lich! Und doch bin ich immer bei dir, aber nur in dei­nem Her­zen!“